
Meine Elternzeit – Illusion vs. Realität
Die Elternzeit ist für mich als Vater ein zweischneidiges Schwert. Ich neige dazu, mir für die Elternzeiten meiner Kinder immer große persönliche Projekte vorzunehmen und doch das Wesentliche dabei außer Acht zu lassen – meine Kinder.
Die Elternzeit beim zweiten Kind ist anstrengend. Anstrengender als beim ersten auf jeden Fall. Besonders mental stoße ich hin und wieder an meine Grenzen. Der chronische Schlafmangel bedeutet ja schon mal eine ungünstige Ausgangssituation für jeglichen empfundenen Stress im derzeitigen „Alltag“ – also die Zeit, in der natürliches Tageslicht zugegen ist. Zum Glück muss ich morgens momentan nicht wie üblich im Büro aufschlagen.
Die Illusion: Meine Vorstellungen vor der Elternzeit
Ich bin ein Papa, zweifelsohne. Doch ich habe natürlich auch andere Bedürfnisse. Zugleich bin ich auch noch ein Sportler, ein Arbeitnehmer und neben vielen weiteren Rollen vor allem auch ein Träumer. Ich male mir gerne aus, wie mein, wie unser Leben in Zukunft einmal aussehen könnte. Wie ich und wie wir uns weiterentwickeln könnten. Dabei kommen mir dann oft viele Ideen – im Wesentlichen immer dazu, das eigene (Familien-)Leben freier und unabhängiger gestalten zu können.
Ich würde fast behaupten, dass ich über die Zeit recht kreativ geworden bin, wenn es darum geht, meine eigenen Fähigkeiten und Lebensvorstellungen „weiter zu spinnen“ als bisher. Wie kann zu mehr finanziellen Freiheiten kommen? Wie ist es möglich, dabei noch weniger Zeit zu investieren? Wie kann ich noch mehr meine Leidenschaften leben? Was kann ich sportlich erreichen, wenn ich endlich mal dauerhaft gezielt trainieren würde? …
Die Krux bei den ganzen Ideen und Vorhaben ist: Ich würde sie auch gerne umsetzen. Aus verschiedenen Gründen klappt das im normalen Alltag mal mehr, eher aber mal weniger gut.
Die logische Konsequenz, die mein Hirn daraus also zuallererst zieht: Geil, 4 Wochen Elternzeit. Endlich mal Zeit, mich all meinen Projektideen zu widmen.
Ich plane also grob ein: Die Große wird 5-6 Stunden am Tag im Kindergarten sein und Mama und Baby kümmern sich auch ohne mich umeinander. Fertig. Sieht doch gut aus, das wird richtig klasse.
Meine Vorstellungen sind nicht real
Was sich dann enwickelt, ist eine gewisse Erwartungshaltung mir selbst gegenüber. Eine innere Stimme, die voller Begeisterung zu mir spricht. Die so freundlich ist mir diverse Bilder in den Kopf zu malen, wie ich Projekt für Projekt in diesen 4 Wochen anstoße und umsetze. Die mir das Gefühl gibt, es sei völlig realisitisch, innerhalb dieser Zeitspanne zum Hochleistungssportler, Millionär und Wohltäter zu werden.
Und ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte, dass diese Träumerei eine meiner wirklich größten Stärken ist. Ich sammle Idee für Idee, spinne sie weiter und – schiebe sie auf, bis sich mal „Zeit“ dafür ergibt – z.B. während der Elternzeit. Vermeintlich zumindest…
Die Realität: Meine Elternzeit in echt
Die Zeit vor der Geburt ist für mich als Papa irgendwie nicht so greifbar wie für die Mama. Kein Wunder, denn in mir wächst ja auch kein Alien. Entschuldigung, aber genau diese Ausdrucksweise habe ich jetzt schon mehrfach von werdenden (und bereits gewordenen) Mamas selbst gehört. Aber ob Alien oder nicht: Es existiert bereits lange vor der „Niederkunft“ (offizieller Wortgebrauch; wie bitte soll man dabei nicht an Aliens denken, hmm?!) eine enge, eine körperliche Beziehung zwischen Mama und Wurm (besser?) im Bauch.
Die Beziehung zwischen Papa und Baby ist vor Geburt rein kognitiver Natur, zumindest empfinde ich das so. Auch wenn ich irgendwann mal hier einen Fuß oder da eine Hand an der Bauchdecke spüre, wirkt es auf mich doch so surreal…
Es überrascht mich so gesehen also nicht, wenn der Papa im Allgemeinen (und dabei meine ich im Wesentlichen mich) vorab Pläne schmiedet, was er mit der ganzen „freien“ Zeit so Schönes anfangen kann.
Mich haben bei der Elternzeit des zweiten Kindes also ein paar (offensichtliche) Dinge überrascht bzw. auf den Boden der Tatsachen zurück geholt:
Elternzeit bedeutet Bürokratie – und Bürokratie frisst Zeit
Die ersten Tage habe ich viel damit verbracht, Formulare auszufüllen und zu Ämtern zu laufen.
- Standesamt: Kind als Erdenbürger anmelden.
- Jugendamt: Vaterschaft anerkennen lassen, da wir noch nicht verheiratet sind (selbst Schuld, hätten wir auch vor Geburt machen können).
- Krankenkasse: Formulare und Geburtsurkunde einreichen, damit Kind versichert wird und Mama die Kohle für die Zeit im Mutterschutz bekommt.
- Elterngeldstelle: Das gefühlt 100seitige Pamphlet ausfüllen und einreichen nebst Geburtsurkunde etc., damit die Mama und der Papa für die Elternzeit auch die finanzielle Unterstützung abgreifen können.
- Familienkasse: Das monatliche Kindergeld beantragen. Formulare scheinen hier im Vergleich zum ersten Kind vereinfacht worden zu sein. Trotzdem Aufwand.
Sieht womöglich sogar überschaubar aus. Termine zu machen, hin- und her zu fahren, Formulare auszufüllen… Das alles frisst allerdings mehr Zeit, als mir lieb ist.
Elternzeit ist nicht gleich Elternzeit
Elternzeit Kind 1: Mama und Kind sind miteinander beschäftigt – zum Glück keinerlei Probleme in dieser Hinsicht, die beiden machen das perfekt. Papa sorgt ein bissl für den Haushalt, kauft ein, saugt sporadisch mal durch etc. – und hat ansonsten recht viel eigens gestaltbare Zeit.
Elternzeit Kind 2: Mama und Kind sind miteinander beschäftigt – Kind 2 ist erwartungsgemäß anders als Kind 1. Verträgt nicht soviel Gewusel drumherum, braucht etwas mehr Umsorgung, auch vom Papa. Kind 1 ist zugleich natürlich trotzdem vor Ort. …und beschäftigt sich nicht in dem gewohnten Maß selbst, sondern muss ebenfalls viel „umtüddelt“ werden. Auch nicht leicht für die Große im Moment. Papa ist da. Und trotzdem muss natürlich eingekauft, geputzt und abgewaschen werden – spontane Unterstützung der Mama auf deren Zuruf noch nicht einberechnet.
Elternzeit ist doch gleich Elternzeit, zumindest in bestimmten Punkten
Chronischer Schlafmangel macht alles viel anstrengender. Das war beim letzten Mal auch so – hat mein Hirn aber offenbar verdrängt und nicht eingeplant. Klug ist es.
Jegliche Aktivitäten (jegliche!) über das absolute Mindestmaß hinaus werden dadurch vehement erschwert.
Ob Sport, ob Bloggen, ob Lesen, ob whatever – Schlafmangel lässt mich zum Neandertaler werden. Ich werde geistig zurückgestuft auf die erste Ebene der Maslow’schen Bedürfnispyramide: physiologische Bedürfnisse (Essen, Trinken, Schlafen, Toilette…) haben absolute Priorität – das nackte Überleben.
Gut dass es überhaupt Toiletten gibt, wer weiß was ich sonst machen würde. Gut, dass es Supermärkte gibt, sonst würde ich wohl beginnen, des Nachbars Katze mit nem gebastelten Speer zu jagen…
Elternzeit ist unpassend für schlechtes Zeitmanagement
Ich mache es mir selbst schwer, indem ich 1001 Erwartungen an mich habe und natürlich – alle zur gleichen Zeit erfüllen möchte. Ich erkenne eine meiner weiteren Stärken: Mich selbst zu frustrieren. Die noch nicht ganz ausgereifte Fähigkeit, passende Prioritäten zu setzen (ich entdecke hier eigenes Entwicklungspotenzial, gut so 😁).
„Willst du alles zugleich, schaffst du niemals irgendwas“ sage ich zu mir selbst und habe glaube ich recht.
Gelassen bleiben und Prioritäten setzen
Eine solche „mini-Krise“ (meine Erwartungen + Realität = Diskrepanz = mini-Krise) lässt mich innehalten und darüber nachdenken, was mir wirklich wichtig ist.
Mir wird klar, was im Moment wirklich wichtig ist. Zu Hause da zu sein. Zu unterstützen. Für meine Kinder. Für meine Familie. Für mich.
Wenn ich in 10 Jahren zurückblicke, möchte ich nicht sagen: „Projekt X oder Y waren wichtiger“, sondern: „Meine Kinder waren wichtiger. Meine Familie war es“.
Ich habe mich entschieden, nicht in ‚entweder-oder‘ sondern in ’sowohl-als-auch‘ zu denken. Natürlich schaffe ich nicht alles zugleich. Aber in kleinere Happen aufgeteilt sollte es trotzdem klappen. Träumen + Leben = Traumleben. Aber halt in der Reihenfolge 1.) Familie und 2.) Projekte. Und ein Stück ‚gesunde Lethargie‘ mir selbst gegenüber kann nicht schaden denke ich. Am Ende gehts mir, gehts uns doch wirklich sehr gut. Es wäre ein Klagen auf hohem Niveau.
Trotzdem möchte ich meine eigenen Träume und Erwartungen nicht dämpfen – ich werde sie aufteilen – und sie dadurch hoffentlich erfüllbar und erreichbar machen. Das Ganze mit einer Portion Gelassenheit und Zuversicht betrachten, fertig.
Vielleicht verlängere ich ja meine Elternzeit, um mich allem noch mehr und länger und vor allem in Ruhe widmen zu können. Wann, wenn nicht jetzt? Mal sehen, wie sich alles entwickelt…
Photo by Randy Jacob on Unsplash