Gleichgewicht der Bedürfnisse

Gleichgewicht der Bedürfnisse

22. Juli 2021 4 Von Niels
Alle lesefaulen können sich den Beitrag hier exklusiv auch anhören 🙂

Bedürfnisse von Kindern stehen Bedürfnissen von Eltern oft diametral gegenüber. Muss ich es meinen Kinder immer Recht machen? Mal sehen…

Ein Kind zu bekommen kann wie der Urknall im eigenen Leben wirken.

Rumms.

Auf einmal ist etwas da, das vorher nicht da war. Dieses Etwas wird zu einem Jemand und, erstaunlich aber wahr: Dieser Jemand geht auch nicht wieder weg.

Und dieses “nicht-wieder-weggehen” kann einen ordentlichen Anpassungsprozess anstoßen. Anpassung natürlich vor allem bei den neu-Eltern. Für jemanden, der X Jahre zuvor ein anderes, ein eigenes Leben geführt hat, ist ein Kind natürlich eine brutale Veränderung. Es ist so, ob man das als (werdender) Elternteil nun hören möchte oder nicht. Für Papas in meinen Augen ein krasserer Prozess als für Mamas.

Es gibt einen unlösbaren Interessenskonflikt zwischen ihren eigenen Bedürfnissen und egoistischen Anwandlungen und den Bedürfnissen des neugeborenen Kindes..

Jorge Bucay

Vorher musste ich mich in der Regel nicht entscheiden. Der wichtigste Mensch in meinem Leben war ICH. Ich bin es zwar auch heute noch (so komisch das klingen mag) – das ist wichtig, um ausgeglichen und für meine Familie da zu sein. Und doch ist es irgendwie anders. 

Ein Ring, sie zu knechten…

Bereichert ein Kind die Welt eines Paares, geschehen bisweilen seltsame Dinge. Bis hin zur völligen Selbstaufopferung widmen sich neu-Eltern hingebungsvoll dem neuen Familienmitglied, durch das man freilich erstmals zu so etwas wie einer “Familie” überhaupt wird. 

Ich will nicht urteilen, doch beobachten kann ich: Schon oft mutierten Freunde und Bekannte, sobald das Baby das Licht der Welt erblickt hatte, zu einer Art Gollom-Verschnitt. Das ist diese ekelhaft anmutende Kreatur aus der Herr-der-Ringe-Trilogie, die dem goldenen Ring derart obsessiv verfallen ist, dass es in ihrem Leben um nichts anderes mehr zu gehen scheint. 

Komischer Vergleich vielleicht. Die Eltern, die mir dabei im Kopf herumschwirren sind auch definitiv um einige Welten hübscher als dieses Gollom. Doch die Obsession mutet ähnlich an. Statt des Rings haben sie nun ein Kind. Manche Eltern schotten sich sogar sprichwörtlich ab, das eigene Universum scheint nur noch auf den neuen Planeten ausgerichtet. Doch hierauf will ich gar nicht eingehen. Fakt ist für mich: Gerade zu Beginn bedarf es einer Zeit der Gewöhnung aneinander! 

Don’t lose yourself

Die Bedürfnisse von Kindern stehen sehr zentral im Papa-Fokus! Irgendwann muss in meinen Augen jedoch der Punkt kommen, an dem auch die eigenen Bedürfnisse wieder ins Sichtfeld gelangen. Meine Hobbys, meine Freunde, auch mal Zeit für mich… Was zunächst egoistisch klingen mag, ist eine Erkenntnis aus 7 Jahren und 3 Kindern. Die Stimme in meinem Kopf wurde immer lauter:

Nimm dich ernst und nimm dir auch Zeit für die Dinge, die DIR wichtig sind!

Bedürfnisse von Kindern vs. Bedürfnisse von Eltern
Papas haben auch Bedürfnisse, ernsthaft!

Photo by Nikhil Mitra on Unsplash

Was wiegt im Zweifel schwerer, MEIN Bedürfnis oder das meines Kindes? Hmm, gar nicht so einfach. 

  • Langer Tag, abends liegen die Kinder endlich in der Heia, ich will unbedingt noch Sport machen doch genau JETZT hat meine Große Redebedarf: Über ihren Tag, ihre Gedanken und Gott und die Welt…
  • Nachts schlafe ich gerne, werde aber oft geweckt, Kind heult, es will um 2 Uhr in der Früh einen warmen Kakao, rammelt hin und her, will kuscheln, nein doch nicht, möchte eine Geschichte hören – und ich muss um 6 Uhr raus, weil ich zum Zug muss…
  • Home-Office: Während eines Meetings, das ich nachmittags moderiere, will das Kind plötzlich spielen, Youtube gucken, über seinen Tag reden, mir einen Tanz vorführen, auf den Schoß, mal “Hallo” in die Kamera sagen, unbedingt JETZT ein Toastbrot geschmiert haben…

Es gibt Millionen Beispiele mehr. Hier prallen im wahrsten Sinne Welten aufeinander. Nicht nur meine und die meines Kindes, nein. 

Grenzen setzen vs. Toleranz zeigen. 

Gelassen bleiben vs. ausrasten. 

Selbstfürsorgepflicht vs. elterliche Fürsorgepflicht. 

Eigenständigkeit fördern vs. Fullservice-Dienstleister für mein Kind. 

Selbst-Empathie vs. Empathie für mein Kind…

Am Ende gibt es keine eindeutigen Lösungen für diese Situationen. Doch was tun? 

Ich denke an mich, aber beherzige eines…

Kinder sind wie ein Urknall: Das eigene Universum sortiert sich neu. Doch wer stößt hier eigentlich zu wessen Lebenswelt hinzu? Ich zu der meiner Kinder? Oder sie vielmehr zu meiner? Ich war schließlich vorher schon da…

Ich glaube, keine der beiden Perspektiven ist gelingend. Die Wahrheit liegt, wie so oft, wohl in der Mitte. Wie kann ich es schaffen, eine neue, eine gemeinsame Lebenswelt zu erschaffen? Eine Lebenswelt, in der Bedürfnisse von Eltern UND die Bedürfnissen von Kindern ausreichend Platz haben? Ich denke DAS ist die Frage, die ich mir stellen möchte.

Fingerspitzengefühl ist gefragt. Meine eigenen, ganz persönlichen Bedürfnisse z.B. nach Bewegung, nach Ruhe, nach Nichtstun etc. muss ich irgendwie unterbekommen – und dafür muss ich sinnvoll Raum schaffen. Grundsätzlich.

Doch es gibt EINE Einschränkung. Sozusagen einen Joker, einen Trumpf, der gespielt werden kann. Und das ist der Unterschied zum Leben vor den Kindern, denn diese Karte muss ich jederzeit bereit sein anzunehmen: 

Wenn mein Kind mich braucht, bin ich da!

  • Braucht mein Kind mich, wenn es abends noch reden möchte? Ja.
  • Braucht es mich nachts, wenn ich eigentlich selbst schlafen möchte? Ja, bis zu einer gewissen Grenze.
  • Braucht es mich, wenn ich gerade in einem Meeting bin? Kommt drauf an.

Die Kraft der gesunden Intuition

Klare Antworten gibt es für mich als Papa eigentlich nie. Was mir immer hilft, ist die eigene innere Stimme. Weise, altklug und, sofern ich genau hinhöre, eigentlich immer mit der passenden Einschätzung parat. Manche nennen sie Intuition. Sie ist immer da. Sie zu hören bedarf jedoch Übung. Sie passend einzusetzen ebenso. 

Mal Grenzen setzen, mal tolerant sein.

Mal die eigenen Bedürfnisse einfordern, mal hinten anstellen.

Mal die Eigenständigkeit fördern, mal mein Kind vor Überforderung bewahren.

Mir selbst gegenüber empathisch sein UND Empathie für mein Kind haben.

Von „richtig“ und „falsch“ habe ich mich längst verabschiedet. Ein Gleichgewicht der Bedürfnisse ist es, das ich im Blick habe. Akut kann ich meine eigenen Bedürfnisse mittlerweile sehr gut zurückstecken, die Bedürfnisse von den Kindern gehen (im Zweifel) vor. doch grundsätzlich darf ich mich nicht aus dem Blick verlieren, das käme einer Selbstaufgabe gleich.

Richtig spannend wird es übrigens je größer die Familie wird. Mama, Papa, Kind 1, Kind 2, Kind 3 – letztendlich hat jeder Mensch für sich genommen Bedürfnisse, die gesehen, gehört, berücksichtigt werden müssen. Je mehr Kinder, desto mehr muss ich als Papa zurückstecken, das ist klar, doch

Bedürfnisse aufschieben statt aufzuheben könnte das Motto sein – es kommt eine Zeit, in ich mir auch selbst wieder gerechter werden kann 🙂

Aus dem Urknall entsteht Leben, ein gemeinsames, kein Einbahnstraßen-Leben. Es für alle gelingend zu gestalten, muss meine Aufgabe sein. Für mich, für meine Kinder, für meine Frau, für uns als Familie. 

Top Photo by Kelly Sikkema on Unsplash