Der „Schockmoment“, der das Leben verändert

Der „Schockmoment“, der das Leben verändert

15. November 2019 2 Von Niels

Letztens erzählte mir eine gute Freundin, mein Blog seit total hilfreich für ein paar ihrer Freunde, die gerade selbst das erste Kind erwarten. und ich musste bei mir denken: „Mensch, wie war das eigentlich „damals“ noch gleich?“ Als wäre es Lichtjahre her… Doch die Zeit vergeht ja wie im Flug. Es gibt allerdings Momente, die sich eingebrannt haben. Und zu denen zählt der folgende.

Gute alte Zeit

Herbst 2013. Ich sitze mit einem meiner besten Kumpels in der Eingangshalle des zentralen Hörsaalgebäudes der Göttinger Universität. Nicht in der Vorlesung oder so, nein. Wir sitzen im Eingangsbereich auf einer Bank am Fenster und schlürfen Cappucino.

Es ist ein Knotenpunkt, das pure Uni-Leben hautnah sozusagen. Von rechts strömen die Studis aus ihren Veranstaltungen, von links strömen sie aus der Mensa oder dem angrenzenden Kaffee an uns vorbei. Hörsäle wechseln, essen gehen oder ab nach Hause. Hier eben noch den Freundinnen in schmatzender Weise drei übertriebene „Busserl“ aufdrücken, dort noch eben der Gangster–Handshake zum Abschied. Es gibt einiges zu beobachten.

Obwohl ich offiziell nicht mehr dazu gehöre, bin ich super gerne hier. Seit bereits einem Jahr hatte ich die Uni abgeschlossen, doch noch immer genoss ich die Atmosphäre sehr. Denn irgendwie ist man doch mittendrin statt nur dabei – mitten drin in der guten alten Zeit. Das Gefühl von Freiheit: Tun und lassen können, wonach mir beliebt (Stichwort „keine Anwesenheitspflicht“), mit guten Freunden abhängen, Käffchen schlürfen, das Leben einfach genießen.

Wir hatten wenig Geld, klar, aber das stört uns wenig – es ging um die Zeit an sich. Eine vielversprechende und reiche Zukunft lag ewig vor uns. So hat es mir gefallen zu denken damals. Alles noch weit weit weg zwar, aber dafür für jeden (gefühlt) mühelos erreichbar. Abschluss, Berufsleben, Ernst des Lebens – kommt alles zu seiner Zeit.

Eine Art gemeinsam zelebrierte Selbstzufriedenheit – wir lebten sozusagen dem Moment (viele Semester lang)

Der Ernst des Lebens kommt im LKW

Da sitzen wir also, zurückversetzt in eine schöne (vergängliche) Zeit und genießen, nichts Böses ahnend… Ich denke, dass man statt der Uni hier auch jede andere Situation nehmen kann, die einen an das „gute alte Leben“ ohne Verpflichtungen und Sorgen erinnert – an all das, was man nicht oder auch nie aufgeben möchte.

Und dann… Klingelt mein Handy. Blick aufs Display: Schatz ruft an.
Ich: „Hi.“ Sie: „Hallo.“ Ich: „Na, alles klar?“ Sie: „… Ja“, dabei atmet sie tief und zittrig aus. Bereits in diesem Moment spüre ich genau, dass irgendwas nicht stimmt. Irgendwas wirklich Bedeutendes bewegt sie.

Mir wird in Bruchteilen von Sekunden kalt, innerlich zieht sich irgendwas zusammen, meine Füße kribbeln… Der Zustand intuitiver Vorahnung, eine Momentaufnahme. Irgendwas steht bevor und mein Gehirn bereitet sich auf die schlimmsten möglichen Szenarien vor.

Wahrscheinlich ordnet es das, was nun folgt, auch deshalb nicht in die „Oh my good, ich freu mich megaaa“ – Schublade ein. Sorry Mädels, vielleicht sind wir Männer da ja einfach panischer gestrickt als ihr…

Ich: „Was ist los, ist was passiert?“ Sie: „Ich… Ich… Hab so ein Test gemacht… Und… Jetzt wirklich lange gewartet und…“

Mir stockt sprichwörtlich das Blut in den Adern. Das Kribbeln breitet sich von den Füßen über die Beine hoch in den Oberkörper aus, Brustbereich vor allem, bis in den Schädel. Kann nix sagen.

Sie: „…und…ich glaub ich bin…schwanger.

Das Wort „schwanger“ stößt sieht aber so aus, als würde sie dabei alle Luft zugleich rauspressen und sich die nicht–telefonierende Hand dabei vor den Mund führen. Ich fühle mich just in diesem Moment völlig überfahren. Überfahren vom Ernst des Lebens. Mit einem LKW.

Ich: „…“ Sie: „Hallo?“, Stimme zittrig. Ich: „…was?“, noch viel zittriger. Sie: „Ja… Ich glaube es hat geklappt“, Tonlage positiv emotional, womöglich mit Tränchen im Auge. Ich: „O. K.?!… Krass“. Ich gedanklich: „Oh Fuuuuck“ 😱 😱 😱

Mein Leben zieht an mir vorbei

Viel kann ich da nicht mehr sagen, bin völlig überwältigt von der Situation. Es folgt eine kurze Verabredung, wo wir uns wann das nächste Mal sehen um zu reden. Dann Ende des Gesprächs.

Ich stecke mein Handy weg und blicke in die Leere. Kurz streife ich mit einem Blick meinen Kumpel, der nicht lange braucht, um zu verstehen was abgeht: „Was ist los Alter?… Ooh warte… Schwanger?“ Während er das ausspricht, beginnt er bereits breit zu grinsen.

Und dann zieht das bisherige Leben an mir vorbei. Es ist schon vergleichbar mit einem kleinen Tod – dem Tod des guten alten Lebens. Ein Tod des alten Ichs. Ab jetzt wird alles anders, einfach alles. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen in dem Moment, aber ich bin mir sicher: Alles… 😱 Das „P“ für Panik in meinen Augen ist im Moment sicherlich leicht abzulesen.

Woran erkennt man beste Kumpels? Daran, dass Sie da sind, wenn man sie braucht!

Wir sprechen sofort drüber. Ich kann meine Bedenken loswerden, ihm anvertrauen. Gemeinsam drehen wir noch eine Runde durch die Uni, noch ein Käffchen, beruhigende Worte und am Ende ein Gangster-Handshake zum Abschied. „Melde dich wenn du was brauchst“, sag er noch. Dann trennen wir uns und ich versuche dieses mulmige Loch im Bauch irgendwie nach Hause zu tragen.

Heute schmunzel ich drüber

Rückblickend muss ich heute schon ein wenig schmunzeln über die Situation damals und das, was ich empfunden habe. Völlige Verunsicherung, Ungewissheit, eine Verantwortung gigantischen Ausmaßes, die mich als Tsunami-Welle wegzuspülen drohte. Hilflos und ausgeliefert rollt sie auf mich zu. Völliger Kontrollverlust meines Lebens. Komfortzone adé… Für immer.

Beim zweiten Kind empfand ich das übrigens grundlegend anders. Das Leben dreht sich bei Kind eins um 180°. Mit Kind zwei nimmt es zwar nochmal Fahrt auf, aber der Richtungswechsel ist grunsätzlich schon vollzogen.

Es ist ein langsamer Prozess, sich an die bevorstehende Veränderung zu gewöhnen, damit umzugehen. Wir hatten damals im Vorfeld sogar darüber geredet, ob wir ein Kind wollen – für mich war es eine „mal gucken was passiert“-Phase. Doch wenns dann wirklich soweit ist…

Naja, ob Wunschkind oder nicht: Im Namen aller Männer bitte ich alle Frauen um Verständnis – Kinderfreude muss sich halt manchmal entwickeln. Gebt uns Zeit und Unterstützung.

Photo by Ben White on Unsplash