Die Beschreibung des Unbeschreiblichen

Die Beschreibung des Unbeschreiblichen

16. August 2018 2 Von Niels

Die Erfahrung einer Hausgeburt machen die wenigsten. Wir gehören zu den knapp 1,5%, die sich dafür entschieden haben. Entgegen aller Bedenkenträger und Risiken, die größer gemacht werden als sie sind. Und es hat sich gelohnt!

„Papa, was ist das eigentlich, so ein ‚Wunder‘?“, hörte ich ein Kind letztens den eigenen Papa fragen. Das ist eine sehr gute Frage. Kinder sind so schlau. Viel schlauer, als wir Erwachsenen es ihnen oft zutrauen… Erwachsensein hingegen erlebe ich oft als so kompliziert. Dabei ist der Ursprug des Lebens, ich meine das ‚Kinderbekommen‘ doch denkbar einfach.

Kinder machen – Kinder austragen – Kinder gebähren.

In der Regel in der menschlichen Natur tief veranlagt. So einfach und doch so schwer. Ich bin stolzer Papa von 3 Kindern – alle 3 wollten wir daheim bekommen, beim mittleren hat es geklappt. Hier ein kleiner Bericht unserer Hausgeburt Erfahrung:

Es ist etwa 10 Uhr morgens. Komme mit Brötchentüte ins Wohnzimmer. Meine Frau liegt auf dem Sofa. Die erste ‚richtige‘ Wehe. Es geht los. Wirklich? 8 Tage über dem errechneten Termin, aber jetzt doch irgendwie so plötzlich. Mal sehen. Alle vier Minuten, hmm. Ich gönn‘ mir lieber noch nen Käffchen und nen Brötchen schnell.

Wehen jetzt alle drei Minuten.

Ok, es scheint wirklich loszugehen.

Hab noch gar nicht wirklich begriffen, was hier abgeht. Meine Frau krümmt sich allerdings langsam vor Schmerzen. Ok, ruhig bleiben. Jetzt einfach funktionieren. Hausgeburt war der Plan, also bleiben wir eh hier. Den Ablauf hatten wir vorab natürlich besprochen. Wie war das noch? Ahja, Gymnastikmatte vom Dachboden holen, ist besser für die Knie beim Hocken.

„Lieber schon mal die Hebamme anrufen?“ frage ich.

„Noch nicht“ antwortet sie.

‚Hmm, ok. Krasser Scheiß‘ denke ich 😨 und versuche nach außen ruhig zu wirken.

Als Mann bist Du bei der Geburt ja mehr der Mitläufer, der Unterstützer. Nie im Leben könnte ich annähernd verstehen, welchen Schmerzen die Frau da ausgesetzt ist. Von außen betrachtet ist es aber schon, nun ja, sehr eindrücklich. Aber ich habe Vertrauen – schließlich hat sie das auch schon mal durchgemacht.

Fünf Minuten später ruft die Hebamme UNS an. Ein Glück, sie macht sich auf den Weg.

Die Schmerzen scheinen schnell heftiger zu werden. Ich greife in die Trickkiste: Lasse ihr ein warmes Bad ein und biete es ihr an – wird angenommen. Scheint ein wenig zu lindern. Habe ich gut gemacht (Dies ist der Beginn der Durchhalteparolen an mich selbst). Eine Geburt ist übrigens sau anstrengend – für die Frau sowieso, aber auch für mich. Vor allem emotional…

Mit jeder Wehe wird es heftiger, die Frau wälzt sich in der Wanne von links nach rechts. Habe das erste Mal Tränen in meinen Augen – solches Leid bei einer so starken Frau zu sehen irritiert mich. Meine Tränen schlucke ich aber tapfer runter und lasse warmes Wasser nachlaufen.

Die Hebamme ist mein Fels in der Brandung

Die Hebamme trifft ein – sie schaut, als hätte sie gerade im Lotto gewonnen. Was für mich eine absolute Ausnahmesituation ist, ist ihr täglich Brot. Sie strahlt eine absolute Routine aus. Das beruhigt mich, dann scheint hier alles im Lot. Der Muttermund macht auch was er soll, nämlich aufgehen.

Badewanne ist wohl jetzt unpassend, Wechsel ins Wohnzimmer wird vollzogen. Ich laufe vor, um den Teppich einzurollen. Dabei ein ganzes Glas Saft draufgekippt – egal jetzt. Alles wird stattdessen mit saugfähigen speziellen Wegwerf-Unterlagen ausgelegt.

Ein wenig gestützt schafft es die Frau bis aufs Sofa.

Vierfüßlerstand, Hocke oder einfach Abhängen auf dem Sofa – verschiedene Stellungen werden getestet. Meine Hauptaufgabe dabei: Menschliche Statue spielen, an der sich gestützt und geklammert wird. Ich bin hier nur „Mittel zum Zweck“, aber das ist völlig ok. Ich tue mein Bestes.

Der eigene Wunsch loszuheulen wird weitere 3x unterdrückt, was gerade so klappt… Später vielleicht, komm schon.

Durchhalten und Tanzen!

Ich spüre erste Kratzspuren vom Stützen, egal. Meine Frau leidet, heidewitzka. Zwischenzeitlich taumelt sie mit geschlossenen Augen, ich versuche Traubenzucker zu verabreichen. Klappt mäßig, muss aber sein.

Die Hebamme hat alles im Blick und gibt mir Zeichen: Alles ok! Wahnsinn, was für eine Ruhe die ausstrahlt, Hut ab! Ich werde es hinterher zu schätzen wissen: Kein Arzt läuft hektisch umher und verbreitet Panik, weil irgendwelche Werte nicht zu 100% der Norm entsprechen – die Erfahrung der Hausgeburt erscheint mir soviel natürlicher.

Meine Frau muss jetzt tanzen!

So kreisen wir gemeinsam die Hüfte, um den Prozess anzukurbeln.

Den Rhythmus gibt uns die Geburts-Playlist vor, die ich auf Ansage meiner Frau einige Tage zuvor via Spotify zusammengestellt habe.

Die Endphase scheint zu beginnen, die Fruchtblase mit Unterstützung der Hebamme ist nun vollständig geplatzt – das Baby konnte wohl vorher nicht bis ganz unten rutschen.

Meine Frau beginnt zu resignieren, möchte den Raum und vor allem die Situation verlassen. ‚Nicht ihr Ernst‘ denke ich mir, kenne diese Phase zugleich aber von der ersten Geburt. Gleich muss es soweit sein. Ok, Tonlage muss wohl gewechselt werden. „Reiß dich zusammen und zieh das durch“ formuliere ich es. Imperativ, Befehlsform.

Und dann kurz … Ruhe.

Dann ist es soweit – keine klassischen Presswehen, aber mit mantra-artiger Anfeuerung von außen („du schaffst das“, „glaub an dich“, „nach unten drücken“…) von der Hebamme und mir und den gefühlt letzten Kräften meiner Frau (verpackt in 2-3 Urschreien mit urkräftiger Power), sehe ich am Sofarand unter mir und ihr … das Baby: Völlig weiß verschmiert, kurze schwarze Haare und … ein Mädchen (wir hatten es uns im Vorfeld nicht verraten lassen).

…und dann ist es einfach nur noch unglaublich

Ich muss die Tränen endlich nicht mehr zurückhalten, kann ich auch gar nicht mehr. Ich heule. Vor Glück. Aber natürlich nur kurz, ist auch ok – es ist einfach überwaltigend 😉

Ich bin so stolz auf meine Frau und ihre grenzenlose Energie & Leidensfähigkeit ❤️ – und unbekannter Weise stolz auf jede Frau, die diese Erfahrungen gemacht hat.

Ich bin so stolz auf meine, unsere zweite Tochter, die gerade zum ersten Mal Luft atmet, spürt und beginnt sich zu bewegen ❤️.

Alles ist gut: Ich habe die Kleine auf der Brust. Kurz darauf wird sie bereits erfolgreich angelegt.

Ich bin so dankbar für unsere wunderbare Hebamme, die es uns ermöglicht hat, eine solch beeindruckende Erfahrung zu Hause, ohne Hektik, trotzdem mit einem sicheren Gefühl sowie mit ein wenig Lockerheit und Humor erleben zu dürfen ❤️.

Unsere Hausgeburt Erfahrung: Weltklasse. Im Vorfeld hört man eigentlich immer nur von Bedenken und möglichen Risiken. Doch die Atmosphäre ist weit weniger hektisch und die Erfahrung viel intensiver – auch weil nicht ständig irgendein Arzt dich zur Seite schiebt. Zugleich hatte ich stets das Gefühl von Sicherheit, unsere Hebamme hat einen wahnsinnig tollen Job gemacht!

„Du willst wissen, was ein ‚Wunder‘ ist? Meine Kleine, das bist du!“

In Liebe, dein Papa ❤️

Photo by Carlos Narvarro on Unsplash