
Woher hat mein Kind diese nervigen Gewohnheiten?!
Mein Kind tut oft Dinge, die mich irritieren. Mehr noch: Von denen ich oft auch genervt bin. Doch so ungern ich es in diesen Momenten zugebe: Als Papa bin ich häufiger Vorbild und Leitfigur, als mir das lieb ist.
Persönlichkeitsentwicklung – live und in Farbe
„Spieglein, Spieglein an der Wand…“
Oder besser: „Spieglein, Spieglein im Kinderzimmer…“
Wer etwas über sich selbst erfahren will, der schaffe sich Kinder an bzw. beobachte einfach die eigenen. Was ich von meinen Kindern lernen kann, hab ich in Ansätzen schon mal beschrieben.
In Zeiten der grenzenlosen Selbstreflektion, Selbsterkenntnis, ständigen Weiterentwicklung, Selbstoptimierung(-swahn) etc. sind Kinder ein wertvoller Parameter zur Orientierung geworden. Kinder sind so schön „echt“, so authentisch.
Ich kann mir Experten, Coaches, Trainer etc. für teures Geld suchen, die mich in meiner Entwicklung unterstützen – oder ich schaue mal zu Hause genauer hin.
Kinder machen in der Regel nicht das, was du ihnen sagst, sondern das, was sie beobachten.
Kinder sind Nachahmer. Und wen ahmen sie in der Regel nach? Richtig: Ihr Vorbild, ihre Leitfigur. Das ist jetzt nicht unbedingt eine neue Erkenntnis, völlig klar. Doch wie bewusst ist einem das im Alltag?!
Was „jeder weiß“, aber kaum jemandem „bewusst“ ist…
Es braucht sich in den meisten Fällen eigentlich niemand aufregen, wenn das eigene Kind flucht, trödelt, sich rausredet, sich daneben benimmt… Meistens kommt das von einem selbst.
Ich selbst habe eine Weile gebraucht, um das zu verstehen. Vielleicht rege ich mich auch einfach zu gerne innerlich auf, wenn das Kind in meinen Augen „mal wieder“ etwas nicht so macht, wie ich es gerne hätte.
Wievielen Eltern geht das ähnlich?! Ich würde behaupten, einer ganzen Menge. Irgendwie finde ich (wenn gewollt) doch eh immer irgendeinen „Mangel“, der mir am eigenen Kind auffällt. Immer!
Irgendwas, das andere Kinder schon können, meins aber noch nicht.
Das hat in erster Linie damit zu tun, mit welcher Perspektive, welchen Augen ich auf mein Kind schaue! Soviel habe ich auf jeden Fall verstanden. Wenn ich möchte, kann ich ALLES an meinem Kind negativ sehen:
Es macht ständig Dreck.
Es bleibt beim Essen nicht sitzen.
Es trödelt immer dann am meisten, wenn wir es am eiligsten haben.
Es hört NIE (NIE!), wenn ich etwas von ihm möchte ()…
Einfach mal mit anderen Augen hinschauen
Aber ganz ehrlich, Leute:
Schaue ich danach, was mein Kind nicht kann? Oder schaue ich was es gut macht? Welche Stärken es hat?
Ich bin der festen Überzeugung, dass JEDES menschliche Verhalten aus einer positiven Absicht heraus geschieht. So betrachtet ergeben sich derart viele Stärken, die ich bei meinen Kindern beobachten kann…
- Wie es Freude am lauten Singen hat 😊 (statt: „jetzt ist die Kleine schon wieder so laut. Wie mir das auf den Sack geht 🤬“)
- Wie schön zu sehen, dass es den natürlichen Drang zu Bewegung so auslebt 😊 (statt: „maaaan, jetzt bleib doch mal beim Essen sitzen, verdammte Axt 🤬“)
- Oh, wie kreativ es in seinem Zimmer spielt mit den 100 Sachen, die es hintereinander ausgepackt hat 😊 (statt: „wie siehts denn hier schon wieder aus? Du musst hier dringend mal wieder aufräumen 🤬“)
Aber obacht! Kinder brauchen Grenzen! Nicht alles ist ok und es sollte nichts schöner geredet werden, als es tatsächlich ist. Laissez faire oder antiautoritär im Sinne einer „mir-ist-alles-egal“-Beziehung zu meinem Kind möchte ich hier nicht bewerben. Nur vielleicht die Einladung für eine andere Sichtweise auf das Verhalten meines Kindes aussprechen 😊
…und am Ende verhält sich das Kind (zum Großteil) nur so, wie es das von den Vorbildern und Leitfiguren abgeschaut hat, mit denen es am meisten zu tun hat (Überraschung: Das sind dann (im Idealfall) wohl wir, liebe Eltern!). Und da ist er dann, der lebendige, wandelnde Spiegel meines eigenen Verhaltens. Hoffentlich ist nicht ALLES abgeschaut…
Eigentlich weiß ich das. Bewusst muss ich es mir aber immer wieder machen.
Vorbild und Leitfigur bin ICH. Immer.
Was dann so zu beobachten ist, schenkt mir wirklich oft witzige Momente, speziell bei der Großen, aktuell 4 Jahre alt:
- „Alteeeeer, Papa, das ist ja voll krass“… – danach fiel mir erstmal auf, wie oft ich auch „Alter“ benutze
- „Ey Papa, heute im Kindergarten wars uuuultra cool. Und die Elena, die hat uuuultra viel gegessen. Und die Nudeln waren uuuultra lecker, Papa. Wirklich, uuuultra!“ – mit einer Inbrunst an Überzeugung und dem entsprechend begeisterten Blick in den Augen. Mama hatte das Wort 2-3x mal benutzt in letzter Zeit.
- Kind drückt verschiedene Aufkleber, die am Kleiderschrank angebracht sind: „Alexa, mach mal bitte dies. Alexa, mach mal bitte das.“ – das muss ausnahmsweise woanders herkommen, wir haben gar kein Alexa
- „Eni, zieh dich bitte an, wir müssen los“. „Ja, ich komme gleich„. 5 Minuten später: „Wir müssen wirklich los, komm jetzt“. „Ja, ich komme gleich„… nach weiteren 5 Minuten hole ich sie selbst ab. …und kein Stück anders bin ich, wenn ich sage „ich komme gleich“ und dabei denke: „nur noch schnell Handy laden, Pipi machen, Rechner runterfahren, Teller abräumen…“
- Einer meiner Favoriten: Umherlaufen während des Zähneputzens. Super nervig, weil sie dabei nicht wirklich putzt. …bis mir mal auffiel, was ICH beim Zähneputzen so mache
Letztens wurde von der Großen aus voller Freude und zur Belustigung aller Anwesenden am Essenstisch lautstark gerülpst und gefurzt – ich bin mir ganz sicher, dass sie das aus dem Kindergarten hat. Hoffe ich zumindest Wer sonst könnte hier das Vorbild sein? Wer die Leitfigur?
Beschäftigung mit Kind = Beschäftigung mit mir selbst
Früher habe ich schon mal gemeckert, jetzt fällts mir viel leichter, entspannt zu bleiben. Mit mir selbst meckere ich ja auch nicht gerne.
Ich hatte sogar eine Zeit lang das Gefühl, es sei der geheime geheime Plan der Erzieherinnen und Erzieher in der Kita, die Eltern zu terrorisieren, indem sie die Kinder darauf abrichten, ihnen neue, nervige Dinge beizubringen
Ist ja auch ausgesprochen einfach, die Schuld bei anderen zu suchen. Einfacher, als sich selbst als Vorbild und Leitfigur zu hinterfragen, klar.
Ich versuche jeden Tag, achtsam mit meinen Kindern umzugehen und dadurch auch für mich achtsamer durch die Welt zu gehen. Und es ist jeden Tag eine neue Herausforderung.
Manchmal entdecke ich dadurch auch unschöne Seiten an mir. Trotzdem sehr wertvoll. Die Komfortzone zu verlassen, sich selbst weiterzuentwickeln, ist zumindest im ersten Moment nach meiner Erfahrung niemals besonders angenehm.
Bevor ich also das nächste Mal viel Geld für Selbstoptimierungsprodukte ausgebe, beobachte ich einfach meine Kinder ein wenig intensiver und versuche auf diesem Wege auch mich selbst zu beobachten.
„Alteeeeer, Papa, das ist ja voll krass“ … Oh mein Gott, wie hab ich das gerade beim lesen gefeiert.
Auch richtig gut kommen Sachen wie „Chill mal“ oder „scheiß die Wand an“. Die Kinder sind unser Spiegel und wenn solche Dinger von unseren Kleinen kommen merkt man tatsächlich erstmal wie man selbst teilweise redet und sich verhält.
Bei deinen Beiträgen muss ich des Öfteren schmunzeln, weil du einfach vielen aus der Seele sprichst. Man selbst kommt ab und zu ins Grübeln bei der Erziehung, wenn die kleinen mal ausrasten oder einfach ohne Grund rumpöbeln. Man fragt sich, ob man irgendwas falsch macht oder ob man ein Einzelfall ist. Nein, das ist man nicht!! Es ist überall das Gleiche (Punkt).
Toller Blog und super Schreibstil. Bitte hör nie mehr auf zu bloggen, Niels 😉
LG Boris
Boris du Rakete, danke für deine positive Rückmeldung! Es tut gut zu hören, dass meine Gedanken/Texte ein bisserl witzig zu sein scheinen, auch für andere, und sogar ein kleines Gefühl der Solidarität auslösen. Ich hör nicht auf, ich fang ja gerade erst an 🙂