
Komasaufen
Alkohol und Stillen ist ein brisantes Thema. Darf Mama auch während der Stillzeit mal an einem Alster nippen? Ja? Nein? Ich möchte hier eine gänzlich andere Perspektive eröffnen – denn während Mama überlegt und ein schlechtes Gewissen hat, zelebriert ihr Kind an der Brust hängend bereits Komasaufen vom Feinsten.
„Saufeen, morgens, mittags, abends, ich will saufeen…“ So oder so ähnlich schallt es ja hin und wieder durch die Après-Ski- oder Dorfdisco bei uns um die Ecke. Allen drei Örtlichkeiten scheint die klassische Ballermann-Musik gemein zu sein.
Komasaufen beginnt im Säuglingsalter
Das Prinzip vom Komasaufen ist ja grundsätzlich bekannt: Feierwütige Menschen (wahlweise Jugendliche und/oder Erwachsene) organisieren sich in mehr oder weniger trinkfesten Cliquen in der Disco, auf der Kirmes oder im Dorftreff und lassen sich zusammen volllaufen. Mit Anlauf gegen die Wand sozusagen. Bis es nicht mehr geht.
Natürlich nur in bester Absicht: Möglicherweise bedeutet das für den einen oder die andere ein Gefühl von Entspannung, Freiheit, Stressbewältigung, möglicherweise Verdrängung von Problemen… und ich will das weder infrage stellen, noch mich da absolut ausschließen: Denn es macht hin und wieder auch einfach richtig Spaß.
Doch auf A folgt (leider) auch manchmal B: Mitunter wacht man mit einem Mordskater am Folgetag auf, der mit zunehmendem Alter auch an Intensität definitiv zunimmt. Doch zumindest hatte man ein paar gesellige Stunden, an die man sich im besten Fall auch noch erinnern kann.
Doch das Bedürfnis sich mal ordentlich „einen reinzuschütten“, das für einige sicherlich zum Ritual oder auch Stressventil geworden ist, muss ja irgendwo herkommen.
Und da komme ich mit meiner (waghalsigen) Theorie um die Ecke:
Komasaufen ist ein natürliches Bedürfnis! Komasaufen ist sozusagen angeboren!
Ich klär das gerne auf. Dafür möchte ich beschreiben, was ich live und in Farbe beobachtet habe.
Die Ausgangssituation: Baby schläft auf Papas Brust, fest und sicher ins Tragetuch eingewickelt. Wie friedlich es ist. So warm und so ruhig. Kann den Atem hören und spüren. Rhythmisch – alles in bester Ordnung. Ein wunderbarer Anblick. Jedes mal zum Verlieben.
Und dann gehts los…
Die Phase der Vorspannung
Kinder machen ja eh mitunter echt witzige Geräusche beim Schlafen – ein leises Quieken, rhytmische Seufzer… Hin und wieder dreht der Kopf im Traum von links nach rechts.
Doch sobald die Frequenz der Schlafbewegungen sich erhöht, gehen bei mir als Papa die Alarmglocken an: Es wird wach😲
Ich beginne intuitiv Ausschau zu halten nach der Mama. Mein Gehirn weiß: Jetzt kann alles sehr schnell gehen
Die Arme des Babys beginnen also erste Bewegungen und befreien sich stückweise aus der in Papa festgeschwitzten, in die Haut eingelassenen Form. Würde man das Kind jetzt in Gänze von meinem Körper „entfernen“, hinterließe es wahrscheinlich einen kompletten 3D-Abdruck – so als hätte man einen Gegenstand fest in eine Knetmasse gedrückt.
Dann die erste zaghafte Fußbewegung rechts – Knie wird gebeugt – linker Fuß steigt mit ein – allmählich entsteht eine Art Milchtreter- oder auch Aquajogging-Bewegung. Der Kopf wird inzwischen schon leicht angehoben, als würde die Kleine mal schauen wollen, was so um sie herum abgeht. Erstaunlich eigentlich, wenn man bedenkt, dass sie den Kopf mit ihren paar Wochen noch gar nicht richtig selbst halten kann.
Die Augen beginnen sich zu öffnen, zaghaft aber gewiss. Blinzel links, blinzel rechts. Richtig wach ist es noch nicht, schlafen tut es aber auch nicht mehr.
Im Verbund wird aus Kopf, Armen, Beinen und den nun einsetzenden Rumpfbewegungen ein mehr oder weniger dynamische Ablauf, der schnell intensiver wird.
Die Augen öffnen sich stückweise immer mehr und der Kopf scheint „Andock-Versuche“ an Papas Schlüsselbein zu vollziehen. Zumindest ist dies meine Erklärung für die kopfnussartigen Bewegungen, denen ich zum Teil Einhalt gebieten muss, damit die Kleine mir nicht aus dem Tragetuch springt. Dabei reißt es die Augen dann auch so richtig auf – wahrscheinlich in freudiger Erwartung, den Nippel anzusteuern. Dummerweise ist das halt mein Nippel, da kommt nichts raus.
Stillen und Alkohol – Parallelen zeigen sich
Ein bedürftiges Wesen beginnt nach seiner „Droge“ zu lechzen – wer fühlt sich hier trotz Stillen noch an Alkohol in Form eines kühlen Blonden erinnert?!😅
Der Mund der Kleinen ist bereits geöffnet und deutliche Schmatz- bzw. Grunzgeräusche sind zu vernehmen. Die Andock-Versuche schlagen natürlich fehl – Papas haarige Brust ist halt schlicht nicht mit Mamas vergleichbar, welch Überraschung…
Und DAS merkt die Kleine recht schnell. Sehr schnell. Um es bildlich zu beschreiben:
- Die Augen werden zugekniffen (höchstwahrscheinlich vor Frust),
- die Mundwinkel verziehen sich langsam nach außen,
- die Wangen bzw. der Wangenspeck dadurch nach oben (das lässt die Augen beinahe ganz verschwinden),
- der Kopf beginnt zu erröten und
- die dynamische Ganzkörperbewegung verkrampft vorübergehend zu einer reinen Anspannung (inkl. Luftanhalten).
Ich erlebe diesen Moment quasi in Zeitlupe und weiß genau, was passiert – was nicht heißt, dass ich es auch nur annähernd beeinflussen könnte.
…und was dann folgt ist der letzte Beweis dafür, dass ich jetzt definitiv nicht mehr die passende Bezugsperson für das Kind bin
Es schreit. Und zwar „volles Mett“. Jedes Mal wieder sehe ich diesen Moment kommen und erschrecke doch jedes Mal erneut vor meinem eigenen Kind. Von süß und friedlich mutiert es zu laut und herzzereißend – schneller, als ein Porsche von 0 auf 100.
Ich werde „leicht“ nervös und suche jetzt ganz bewusst die Mama. …schnell.
Das Komasaufen beginnt – jetzt wird getankt
Wer schon mal eine Billigparty für 0,99€- oder sogar 0,49€ pro Getränk mitgemacht hat, weiß zumindest ungefähr wie das ist. Eigentlich steht man durchgehend an der Theke. Und wenn man dann endlich mal dran ist, werden nicht ein Getränk, auch nicht zwei, nein, es werden soviele wie irgend möglich bestellt.
Das Motto: So viel es geht, so schnell wie möglich. Solange der Laden geöffnet hat halt. Solange „Happy Hour“ ist…
Das Kind ist bei Mama. Erstaunlich, wie gelassen meine Frau ist, während das Kind sich echauffiert. Wir sprechen hier von 20-30 Sekunden, denn die Quelle muss ja schon erst ausgepackt und es muss alles zurecht gelegt werden.
Das Andocken ist nun erfolgreich bewältigt. Das heißt keineswegs, dass das Kind sich schon beruhigt hat. Vielleicht muss die Muttermilch erst kurz ihre Wirkung entfalten.
Wenn ich ein Bier trinke, dauert es in der Regel ja auch kurz, bis der Alkohol im Hirn ankommt.
Es wird also kurz weiter gemeckert und gezappelt, parallel natürlich fleißig genuckelt. Und dann ist es soweit:
Die Konzentration aufs Wesentliche (nämlich die Nahrungsaufnahme) setzt ein und der Sturztrunk beginnt.
Es wird reingeschüttet, was das Zeug hält – ist ja auch umsonst.
Komasaufen…
Vom Nuckeln lässt sich die Kleine übrigens durch NICHTS abbringen!
Verschluckt? Egal.
Husten? Egal.
Kotzen? Egal.
Das ist schon erstaunlich. Hauptsache es läuft. Die Mama muss da hin und wieder Einhalt gebieten, sonst würde die Kleine sich wahrscheinlich sprichwörtlich „ersäufen“ – und wäre womöglich noch glücklich dabei🤷♂️
Das Komasaufen ist übrigens sichtlich anstrengend. Das schließe ich aus dem rhytmischen Stöhnen und Seufzen, das beim Ein- und Ausatmen zu vernehmen ist. Schwerstarbeit. Vor allem dann, wenn parallel noch ein Käckerchen eingebaut wird.
Babys scheinen da praktisch zu denken – oben rein, unten raus, es braucht ja schließlich Platz…
Die komatöse Phase (Delirium)
Zum Ende hin werden die Anstrengungen sichtlich ermüdend – der komatöse Zustand beginnt sich langsam einzustellen. Stillen und Alkohol scheinen mir immer ähnlicher.
Aus dem tiefen Grunzen ist nunmehr ein Quieken geworden – „Meerschweinchen-Style“ suggeriert mir mein krankes Hirn.
Die Augen verdrehen sich zunehmend und es wird immer mehr gespielt statt genuckelt – aus der Nahrungsquelle wird langsam eine Einschlafhilfe. Oh mein Gott, Mama wird „benutzt“…😱 🤣
Und dann sehe ich es: Dieses Bild – das erschöpfte Kind:
- Augen 90 – 100% geschlossen,
- die Zunge zwischen Ober und Unterlippe eingeklemmt
- die Arme in Rückenlage mit unter links und rechts angewinkelt dabei 90° im Ellbogen gebeugt.

Stillen wirkt wie Alkohol: Komasaufen verursacht Erschöpfung
Es pennt. Der Bauch ist dick, kurz vorm Platzen. Die Windel passt kaum noch drüber zu diesem Zeitpunkt. Der letzte Schluck hat nicht mehr reingepasst und läuft am Mundwinkel herunter. Köstlicher Anblick, denn so soll es ja sein. Zumindest in diesem Alter.
Und wenn nicht die zweite Brust in 5 Minuten folgt, hat Mama sogar zwischen einer und vier Stunden Pause bis zum nächsten Akt.
Morgens, mittags, abends saufen? Lächerlich – mein Kind kann öfter!
Ich freue mich inständig, dass mein Kind gut trinkt und gesund ist! Zugleich werde ich sicher daran zurückdenken – möglicherweise auch mit einem viel besseren Gewissen als zuvor – wenn ich das nächste Mal Alkohol in Form eines kühlen Biers in der Hand halte, um mich damit selbst zu stillen.
Im Anschluss darf ich das Koma-Bäuerchen regeln und hoffe derweil inständig, dass mein Kind diese Sauf-Instinkte noch vor der Pubertät abgelegt hat.
…andernfalls beschreibe ich in ein paar Jahren wohl den gleichen Prozess, nur in einem leicht veränderten Zusammenhang
Köstlich. Habe ich glücklicherweise alles schon hinter mir – als Mutter von zwei heute erwachsenen und wohlgeratenen Kindern. Die Phase wiederholt sich… so mit 15-18 Jahren, doch bei meinen war nach der ersten Wiederholung Schluss. Nicht zu 100%, doch der Umgang findet inzwischen wohlüberlegt statt. Und in Maaaaßen 😉
Niels, du musst nur noch 18 Jahre durchhalten! 😀
Hallo Martina,
danke für deinen Kommentar 🙂 Ich bin gespannt drauf, wie es sich die nächsten 15 Jahre entwickelt – sicher werde ich berichten 😉
Auch super. Mag deinen Stil. Weiter so. Liebe Grüße Maike
Liebe Maike, vielen herzlichen Dank 🙂
Ach Nils,
da ich deine Kinder eh schrecklich vermisse: schreib mehr über sie. Dann ist es fast als wären sie in der Nähe.
Danke für dein Feedback, Chiara! Ich geb mein Bestes, damits dir gut geht 🙂
Wieder großartig!Habe laut gelacht!macht mega Spaß zu lesen. Würde mir direkt n Buch von dir kaufen!!!😂
Hallo Jessica, vielen Dank für dein Feedback 🙂 Na da komme ich drauf zurück, wenn mein Buch rauskommt 😉