
Papa der Zukunft
Im vergangenen Sommer 2019 gab es Tage, an denen es sehr warm war. Wirklich sehr sehr warm. So warm, dass es im Büro tagsüber kaum auszuhalten war. Es war diese Art von Hitze, bei der ich mich am liebsten den lieben langen Tag rücklings ins Wasser legen mag. Sonnenhut, Cocktail und dann ist alles gut.
Doch stattdessen gehe ich wie die meisten braven Bürger meinen Verpflichtungen nach. Es kann schon mal stressig werden, sich bei diesen Temperaturen acht Stunden am Tag auf den Computer zu konzentrieren. Den Standard-Schweißfilm auf der Haut trägt jeder mit sich herum.
Ausruhen geht halt nicht immer sofort
Nach einem heißen anstrengenden Tag falle ich also aufs Sofa, um zu chillen. Ich bin total geschafft und merke, dass ich jetzt eigentlich Ruhe bräuchte. Doch den Kleinen fällt es bei den Temperaturen auch nicht gerade leicht, sofort zu schlafen. 28° zeigt es in der Wohnung um 20 Uhr noch an. Kein Lüftchen weht von draußen herein.
Die Zeit mich auszuruhen, Zeit für mich, fällt also erst mal aus – ich muss mich um die Kids kümmern. Hunger habe ich trotzdem, ich schiebe mir parallel eine Pizza in den Ofen, während ich die Kleine auf dem Arm habe und mit der Großen im Nachbarzimmer eine Unterhaltung (oder mehr eine Diskussion) führe. „Ich muss unbedingt noch dies und das machen“, sagt sie. „Das kannst du auch morgen machen“, sage ich. Meine Oma hätte das wohl „Kriegsverlängerung“ genannt.
Nach etwas Hin und Her scheint sie aber endlich zur Ruhe gekommen zu sein. Möglicherweise hatte ich dann doch auch ein deutlicheres Wort fallen lassen. In voller Euphorie lege ich auch die Kleine ins eigene Bett. Da liegt sie sicherlich volle 30 Sekunden – bevor sie erneut verzweifelt anfängt zu brüllen. Hmm, na gut…
Also hole ich das Kind aus dem Bett, die Pizza aus dem Ofen und bemühe mich, den 11 kg–Brocken auf links, einhändig mit rechts den Pizzaschneider zu bedienen. So sitzen wir beide dann schlussendlich im Wohnzimmer: Sie spielt (zum Glück) kurz allein, ich darf das erste Stück „genießen“:
Es sind immer noch 28° im Raum. Lecker, genau richtig für heiße Pizza…
…jetzt wird aber gechillt – nicht.
Die Kleine bemerkt mein Pizza-Interesse und will jetzt auch was abhaben. Ich beginne langsam etwas genervt zu werden, während mir beim Essen der Schweiß von der Stirn tropft. Parallel möchte ich natürlich trotzdem entspannen (komme was wolle!) und schalte deshalb Netflix an 🤦♂️ .
Tolle Idee, ich weiß… Die Kleine krabbelt nun auf dem Sofa über mich rüber, linksrum, rechtsrum, überall – während ich versuche, in mein zweites Stück Pizza zu beißen und zugleich mitzubekommen, was in der zweiten Staffel „Dark“ so passiert.
In dieser Serie geht es um Zeitreisen. Die Protagonisten begegnen zum Teil ihren eigenen Ich’s aus Vergangenheit oder Zukunft. Spooky.
Ich spachtele die Pizza nebenbei weg, achte peripher darauf, dass die Kleine nicht von dem Sofa stürzt und glotze dabei die meiste Zeit in den Fernseher. Entspannend ist das nicht, was ich da versuche, man ey…
…bis eine der Figuren in der Serie etwas sagt, dass mich nicht nur ad-hoc aufhorchen lässt – mir gefriert kurz das Blut in den Adern, ich höre auf zu kauen:
Ich habe früher immer gedacht, das Schlimmste was einem im Leben passieren kann, ist das eigene Kind zu verlieren. Dabei können wir nichts dagegen tun. Egal wie fest wir versuchen sie zu halten, sie verschwinden trotzdem irgendwann. Eltern, Kinder, sie alle laufen nur einen Teil ihres Lebens einen gemeinsamen Weg. Am Ende sind sie meilenweit voneinander entfernt.
Egon Tiedemann in „Dark“
Wenn ich je auf ein Zeichen gewartet hätte – DAS wäre es!😱
Zukunfts-Niels
Vor dem inneren Auge erscheint mir mein 30 Jahre älteres Ich und beobachtet mich: Leicht genervt, verschwitzt und mit den Gedanken bei Pizza, Netflix und sonst wo, aber am wenigsten bei – meinem Kind. Bei dem einzigen anderen lebendigen Wesen im Raum außer mir. Das Baby erscheint mir bei dem Blick auf mich selber mehr als „Störfaktor“.
Ich schalte die Serie auf Pause und schließlich sogar ganz aus. Diesen Anblick gönne ich meinem Zukunfts-Ich nicht. „So ein Idiot. Der ist auch nicht besser als die Protagonisten vom RTL II-Nachmittagsprogramm, über die er immer so herzieht“, höre ich es schon lästern.
Und kaum ist der Fernseher aus, bin ich wieder ein Stück zentrierter und bewusster und es passiert Erstaunliches: Als hätte die Kleine nur darauf gewartet, klettert sie ein letztes Mal auf mich, wie ich so dasitze und beginnt übermüdet zu kuscheln.
Eben war sie noch so nah und doch so fern. Ich lasse mich das erste Mal an diesem Abend voll auf sie ein, schnuppere an den flusigen paar Haaren auf ihrem Kopf, streichle ihr dabei über den Rücken. Und auf einmal tut das Kind, was ich mir die ganzen letzten 30 Minuten gewünscht habe: Es schläft friedlich ein!
Ich hoffe, ich bin nicht allein mit diesen Alltags-Erkenntnismomenten. Ich fühle mich dabei manchmal wie ein richtiger Honk. „Manchmal habe ich meine Kinder gar nicht verdient“, lästere ich über mich selbst.
Denk mal an später, Papa…
Bei all dem Trubel, dem ich mich und mein Gehirn so täglich aussetze, vergesse ich manchmal, was wirklich wichtig ist auf der Welt. Denn wenn ich in 30 Jaheren mal das Alter meines zukünftigen Ichs erreicht habe, möchte ich zurückschauen und stolz sein auf meine Kids und das, was ich ihnen mitgeben konnte. Stolz darauf, eine wundervolle und intensive enge Zeit mit ihnen gehabt zu haben. Denn eins ist klar: Schon ganz bald werden sie nicht mehr auf mir rumklettern, mich vollsabbern und dabei niedlich schnarchen und einschlummern. Und wenn ich so drüber nachdenke, bin ich jetzt schon traurig, dass diese Zeit geht einmal vorbei sein wird 😥 .
An diesem Abend genieße ich den Moment mit dem schlafenden Kind auf meinem Bauch sicher noch 10 Minuten. Danach stehe ich mit ihr auf, lege sie behutsam in ihr Bett und werfe ihr einen letzten verliebten Blick zu. Eben noch wollte ich sie so schnell wie möglich loswerden, nun kann ich mich kaum von dem schlafenden Etwas trennen. Dabei ist eigentlich nix sicherer, als der Umstand, dass sie in spätestens 3-4 Stunden sowieso wieder zwischen mir und ihrer Mama im Bett liegen wird und ein Wiedersehen somit sicher ist.
Ich bin ehrlich: Wenn es soweit ist, werde ich nicht 100% glücklich damit sein. Aber jetzt gerade freue ich mich sogar drauf 😁🤩
Jetzt, wo das Baby friedlich schlummert, kann ich auch nochmal 5 Minuten für mich haben. Der Fernseher bleibt aus. Ich genieße kurz noch die Stille und verschwinde dann selbst ins Bettchen. Ein paar Minuten mehr Schlaf tun auch mal gut – und sind am Ende die beste Art der Entspannung.
Wunderbar, Niels, das kannte ich noch gar nicht!
Der Moment ist, der zählt.