
Rotzfahne und ein Biss(chen) Liebe
Sabber, Essensreste, Rotzfahne – es kann niemand behaupten, dass Kinder ihren Eltern nichts zu geben haben 😉
Man stelle sich die folgende Szene in Zeitlupe vor, die sich exakt so bei uns zu Hause zutrug:
Das Baby steht an dem einen Ende des Flurs. Ich am anderen. Beide sind gerade mit irgendwas beschäftigt: Die Kleine spielt, räumt etwas aus oder macht etwas kaputt – was am Ende alles auf das Gleiche hinausläuft.
Sie schnieft ein wenig, aber welches Kind denn nicht? Die Rotzfahne ist ständiger Begleiter.
Ich meinerseits sauge gerade die Wohnung oder, noch viel (viel!) wahrscheinlicher: Suche mal wieder mein Portemonnaie, Handy oder Schlüssel. Irgendwie sind beide halt beschäftigt.
Nun treffen sich zufällig unsere Blicke. Sie auf der einen Seite, ich gegenüber.
Wir scheinen, so meine ich es zu deuten, in dem Moment das gleiche zu denken. Beide fixieren die Augen des anderen: „Oooh, da ist ja mein lieber Papa“, denkt sie bestimmt – und „Oooh, das liebe Kindchen, wie süß es doch ist“, denke ich.
Beide wenden sich dem Gegenüber zu – und setzen sich langsam in Bewegung, geradewegs aufeinander zu.
Ich fühle mich intuitiv erinnert an einen (guten oder schlechten) Liebesfilm erinnert: Zwei Verliebte laufen über eine endlos lange Strecke quer über die Blumenwiese in Zeitlupe aufeinander zu – in freudiger Erwartung, den Gegenüber in die Arme schließen zu können.
Das kleine Ding in meiner Wohnung läuft mir nun also entgegen und ich ihm.
In angemessenem Tempo versteht sich. Slow motion ist mit 14 Monaten ja tatsächlich ein bisschen der Standard-Zustand. Dabei beginnt sie langsam ihre Arme auszubreiten, offensichtlich will sie mich einmal herzlich drücken. So breite auch ich meine Arme aus, um sie freudig in Empfang zu nehmen.
Wir kommen uns näher und erreichen uns auch schließlich – ich gehe in die Hocke, um halbwegs auf Augenhöhe zu sein. Und das passiert mir als 1,72m-Riese im Leben nicht oft.
Ich mag meine Kinder. Sie bauen mich irgendwie auf✌️😛.
Das muss Liebe sein – denke ich
Freudig und glückerfüllt nehme ich sie in den Arm. Sie legt ihren Kopf auf meine Brust und ich genieße den Moment.
So warm.
So herzlich.
Wahre Liebe.
Sie braucht mich und ich brauche sie.
Hachja…😍
Doch der Moment hält so ziemlich genau 0,18 Sekunden. Wenn überhaupt.
Denn kurz nachdem sie den Kopf ablegt, merke ich, wie sie ihn langsam aber sicher genüsslich zur Seite bewegt und damit ihr ganzes Gesicht einmal über meine Brust streicht.
Ich habe nicht den Hauch einer Chance, auch nur irgendwie darauf zu reagieren. Irgendetwas in mir genießt noch immer den schönen Moment von eben, während der immer größer werdende Teil in mir versteht, was hier gerade geschieht.
In Bruchteilen von Sekunden (wir sind immer noch in slow motion) wandert mein Kinn runter und meine Augen damit nach unten zum Kind. Bevor ich mit meinen Blicken angekommen bin, ist ihre Kopfbewegung auch schon zu Ende.
Als wäre nichts geschehen, lässt sie unmittelbar von mir ab, löst sich aus der Umarmung und geht ihres Weges – direkt hin zum Kinderspielzeug, dass unmittelbar neben mir liegt.
Das ist wohl der Moment im Liebesfilm, in dem das vermeintliche Paar aneinander vorbeiläuft, statt sich in die Arme zu fallen🤦♂️
Ich kann ihre Rotzfahne auch nicht mehr sehen. Moment mal…
Bin ich ein Taschentuch? „Ich fühle mich so…benutzt“
Mein Bewusstsein begreift zu langsam, was hier gerade passiert ist.
Während meine Augen noch nach unten wandern, entdecke ich auch schon die grün-gelbe Rotzfahne, die sich einmal quer über die linke Brust meines beigen (ja, beige!!!) Pullovers erstreckt.
Ja ist denn das zu fassen?
Ich betrachte den Rotzfleck, blicke meinem Kind hinterher (sie interessiert sich nicht mehr die Bohne für mich), blicke wieder auf den Pullover und schließlich ein letztes Mal zu ihr.
Unglaublich!
Dass ich den Pulli eine halbe Stunde zuvor erst frisch angezogen hatte, macht jetzt an dieser Stelle auch keinen Unterschied mehr.
Aber hey, was soll ich sagen?
Ich habe die Liebe meiner Tochter gespürt! 0,18 Sekunden – aber sie war da (schwacher Trost, in dem Moment ist mir das ziemlich wurscht).
Auch, wenn sie mich offenbar für ein Taschentuch hielt…
Als erfahrener Papa springe ich sogleich zum Waschbecken, um die „Überreste“ ihrer Liebe mit einem feuchten Handtuch so schnell und gut es geht vom Untergrund zu entfernen.
Eingetrocknete Rotzfahne kriegt kein Haushaltsmittel der Welt mehr von den Klamotten ab.
Ich berappel mich langsam und habe im Anschluss sogar noch einen kleinen Aha-Moment. Denn ich meine ein Muster im Verhalten meiner Tochter zu erkennen.
So ähnlich habe ich es schon mal erlebt, sogar noch etwas schlimmer. Die einzig mögliche Steigerung zu lieb gemeinten Rotzfahne auf beigem Pulli ist nämlich, wenn das Kind aus welchen Gründen auch immer genussvoll mal des Papas Oberschenkel oder Schulterblatt kostet.
Das klingt viel zu harmlos: Es beißt! Und zwar nicht von schlechten Eltern (sorry, Eigenlob stinkt).
Und natürlich grundsätzlich an die Stellen, wo die Haut am dünnsten ist😈!
Vielleicht hat sie mich zum Fressen gern. Vielleicht bekommt sie auch zu wenig zu essen. Dabei ist sie eher so der Typ „schwarzes Loch“ in der Küche: Da kannst du gar nicht aufhören reinzustopfen.
„Sie zeigt dir so nur ihre Zuneigung“ höre ich die Pädagogen dieser Welt rufen.
Mag sein. Jaja, mag ja sein. Aber erklärt das bitte mal meinem Körper, der die blauen Flecken davon trägt…🤣 – im Gegensatz zu meinem Kind, das sich später nie wieder an diese Situationen erinnern wird…
Natürlich stelle ich mich hier auch ein bisschen an, aber es macht Spaß, so darüber zu schreiben.
In diesem Sinne: Liebe hinterlässt Spuren und tut auch manchmal weh. Danke mein Kind, danke!
Danke dafür, dass du es mich das nie vergessen lässt und auch nicht, wie lieb ich Dich hab!❤️🤪
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